M wie Muttergebundene Kälberaufzucht
Eine naturnahe Aufzuchtsmethode, die eine Vielzahl von Möglichkeiten bietet.
Die muttergebundene oder kuhgebundene Kälberaufzucht stellt im Allgemeinen eine Aufzuchtsvariante dar, in der der Kontakt zwischen Kalb und Kuh in Form von Säugen, sozialen Interaktion und physischen Kontakt fokussiert wird. Die naturnahe Aufzuchtsmethode bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, wodurch jeder Betrieb für sich ein eigenes Kälberaufzuchtsystem entwickeln kann. Da es grundsätzlich keine Vorschriften gibt, wie lange Kuh und Kalb zusammenbleiben oder wie oft und wann der Kontakt zwischen Kuh und Kalb stattfindet, können unterschiedliche Systemvarianten ausgewählt und miteinander kombiniert werden.
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche kuhgebundene Kälberaufzucht sind fitte Kühe. Für diese Aufzuchtsmethode eignen sich keine kranken oder lahmende Kühe.
Die Kuh alleine ist für die Versorgung des Kalbes verantwortlich. Ein schlechter Gesundheitszustand der Kuh wirkt sich somit direkt auf das Wachstum und die Gesundheit des Kalbes aus.
Systemvarianten nach Melken
Im ersten Schritt muss die Frage geklärt werden, an welchen Tieren die Kälberaufzucht stattfinden soll. Hierbei wird zwischen Ammen bzw. Müttern, die noch weitere Kälber führen und reinen Müttern
unterschieden.
Ammenkühe werden ausschließlich für die Kälberaufzucht verwendet und nicht mehr zusätzlich gemolken. Ammen können Kühe sein, die gerade gekalbt haben und ihre eigenen Kälber sowie weitere fremde Kälber führen als auch Kühe, deren Kälber bereits abgesetzt sind bzw. die schon länger in der Laktation sind. Im Vergleich dazu führen Mütter nur ihr eigenes Kalb und werden im normalen Melkbetrieb gemolken.
- 2 x tgl. zusätzliches Melken → mit Müttern
- Melken nach Bedarf → mit Müttern oder Ammen
- ohne zusätzliches Melken → mit Ammen bzw. Müttern, die noch weitere Kälber führen
Systemvarianten nach Kontaktzeit
- Restriktiv 2 - 4 Mal täglich
- Restriktiv halbtags
- Permanent
Weitere Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich aus der Kontaktzeit. Bei einem permanenten Kontakt
werden Kalb und Kuh (Mutter oder Amme) gemeinsam gehalten und bis zum Absetzen nicht voneinander getrennt. Entweder wird eine separate Gruppe (Muttergruppe oder Ammengruppe) gebildet oder die Kälber laufen im Verbund der Herde mit.
Beim restriktiven Kontakt
werden die Begegnungen zwischen Kuh und Kalb zeitlich begrenzt. Die Kälber haben bei dieser Form einen eigenen Bereich, in dem sie sich außerhalb der Kontaktzeiten aufhalten. Zu bestimmten Tageszeiten z.B. vor oder nach dem Melken können Kuh und Kalb in sogenannten Begegnungszonen zusammen-kommen. Eine Begegnungszone kann beispielsweise ein Laufhof oder Laufgang sein. Auch kann die Weide eine Begegnungszone darstellen.
Eine weitere Methode die Begegnungszeit zu gestalten ist der Einsatz von Halsbändern mit Transpondern. In diesem System verfügen Kälber grundsätzlich über ihren eigenen Bereich. Durch das Halsband wird gesteuert, wann und wie oft die Kälber zu den Müttern dürfen.
Stallkonzepte für verschiedene Systeme
1. restriktive Systeme: Kontakt 2x tgl. → Begegnungszone
- im Laufhof der Kühe
- im Laufgang zwischen Kühen und Kälberstall
- im benachbarten Kälberstall
2. permanente Systeme mit Müttern in der Herde
- Spalten auf Schlitzweite und Auftrittsbreite achten
- Stall kälbertauglich machen → Abtrennungen, Abdeckungen von Kanälen etc.
- genügende Liegeplätze für alle → genügend Platz in den Boxen (Kopfraum) für Kälber
- Fressplätze für Kälber
- Kälberschlupf
- Stallflächen und Auslaufflächen auf Kühe + Kälber auslegen
3. permanente Systeme mit Mütter in abgetrennten Bereich
- Zugang zum Melkbereich
- Stallflächen und Auslaufflächen auf Kühe + Kälber auslegen
- Fressplätze für Kälber
- Kälberschlupf
- kälbertauglich
4. permanente Systeme mit Ammen
- separater Stallbereich für Kälber und Ammen
- kein Zugang zum Melken notwendig → kann auch ein anderes Gebäude sein
- Stallflächen und Auslaufflächen auf Kühe + Kälber auslegen
- Fressplätze für Kälber
- Kälberschlupf
- kälbertauglich
Beispiele für unterschiedliche Tränkedauer
- Tränke bis 6 Wochen mit Müttern, Ammen bzw. Müttern, die noch weitere Kälber führen und anschließender Eimertränke
- Tränke bis > 120 kg und 12 -16 Wochen mit Muttern, Ammen bzw. Müttern, die noch weitere Kälber führen - in eigener Gruppe oder im Verbund der Herde
- Tränke bis > 240 kg und 6 Monate mit Ammengruppe
Die Tränkedauer
kann bei der kuhgebundenen Kälberaufzucht je nach Zielrichtung stark variieren. In der Regel werden bei der muttergebundenen Kälberaufzucht die Kälber bis max. 16 Wochen getränkt und anschließend abgesetzt. Werden Ammengruppen gebildet, kann die Tränkezeit auf über 6 Monate verlängert werden. Eine Kombination von kuhgebundener Kälberaufzucht und Eimer- oder Automatentränke ist ebenfalls möglich.
Grundsätzliche Haltungsanforderungen
- Kolostrumaufnahme überwachen und im Notfall eingreifen - ersten 6 h Biestmilch in ausreichender Menge
- Hygiene beachten → selbe Regel wie bei ”normaler” Kälberhaltung (niedriger Keimdruck, Leerzeiten, Rein-Raus-System, Platz)
- Zusammengewöhnen von Amme / Mutter und Kälbern in den ersten Lebenstagen
- hohe Anforderungen Tierbeobachtung - Durchfall, Atemwegserkrankungen, Gewichtszunahme
- Regelmäßiger Kontakt zu den Kälber in den ersten Lebenswochen, vor allem in permanenten Systeme mit Ammen
- Stall flexibel gestalten → Wege und Abtrennungen beachten
- Zitzendippmittel Milchsäurebasis
- Ausreichend Kälber pro Amme einplanen (3 - 4 Kälber pro Kuh)
Herausforderungen bei AMS
Eine spezielle Herausforderung für die kuhgebundene Kälberaufzucht stellen Automatische Melksysteme (AMS) dar. Damit diese Systeme auch mit der alternativen Aufzuchtsmethode gut funktionieren sind einige Punkte zu beachten. Werden die Kälber im Herdenverbund aufgezogen, muss der Stall, wie auch bei konventionellen Melksystem, kälbertauglich sein. Da die Kühe beim AMS permanent Zugang zum Melken haben, ist es schwieriger den Kuh-Kalb-Kontakt in den Tagesablauf einzugliedern. Werden Kühe mit Kälbern beispielsweise kurz vor der Begegnungszeit gemolken, haben sie nicht mehr genügend Milch für die Kälber. Werden die Kühe andererseits direkt nach der Begegnungszeit gemolken, wirft der Melkroboter durch bereits geleerte Viertel oder durch misslungene Melkungen eine Fehlermeldung aus. Aus diesem Grund sollte kälberführende Kühe vor und nach dem Kuh-Kalb-Kontakt kein Melkanrecht erhalten.
Konzepte - AMS und kuhgebundene Aufzucht
Konzept 1
Mütter normaler Zugang AMS
restriktiver Kontakt zu den Kälbern (2 x tgl.)
Sperrzeit besser nach dem Kuh-Kalb-Kontakt, um Fehlermeldungen zu vermeiden
Konzept 2
Mütter und Kälber permanenter Kontakt in der Herde mit AMS-Zugang
Stalleinrichtung kälbertauglich
AMS-Einstellung anpassen bzgl. bereits leer getrunkenen Viertel
Konzept 3
Mütter und Kälber permanent in separaten bzw. abgetrennten Stallbereich
Treibwege mitplanen für Kuhverkehr
Stalleinrichtung kälbertauglich
AMS-Einstellung
Konzept 4
Ammensystem
ohne Melkzugang
in abgetrennten oder separatem Stall
Absetz-Varianten
In Vergleich zur konventionellen Kälberaufzucht wird bei Absetzen in der kuhgebundenen Kälberaufzucht nicht nur eine Entwöhnung von der Milchtränke durchgeführt, sondern erst im Zuge der Entwöhnung auch die Trennung von der Mutter eingeleitet. Entweder werden die Kälber abrupt von der Milch abgesetzt und gleichzeitig von der Mutter/Amme getrennt oder es erfolgt ein stufenweises und zeitlich versetztes Absetzen und Trennen. Wie auch in der herkömmlichen Kälberaufzucht ist das stufenweise und zeitlich versetzte Absetzen und Trennen den abrupten vorzuziehen, da dadurch das Kalb weniger belastet wird, der Trennungsschmerz geringer ist und eine schonende Futterumstellung erfolgt.
Strategien zum Absetzen
- graduelles Absetzen: erst Trennen, dann Absetzen mit Eimer oder Amme
- graduelles Absetzen: erst Absetzen, dann Trennen (Nose-flap)
- graduelles Absetzen: tgl. Kontaktzeit verkürzen
- permanente Systeme: Kälber längere Zeit im Kälberschlupf oder Gruppeniglu mit separater Fütterung
- restriktive Systeme: 1x statt 2x täglicher Kontakt
- restriktive Systeme: ältere Kälber später zur Kuh-Kalb-Gruppe
Weitere Voraussetzung:
- Sozialkontakt: Kälber in Gruppen absetzen und trennen
- gewohnter Stall: Kälber verbleiben noch im Stall, wenn Amme weg
- weiterhin Sozialkontakt ermöglichen vs. räumliche Trennung außer Ruf- und Sichtweite
- längere Säugedauer bis > 6 Monate (ähnlich natürlichen Verhaltensweisen)
- medikamentöse Unterstützung durch Homöopathie und Kräutertropfen
Neue Anforderungen bedürfen neue Lösungen..
..vor 100 Jahren hat sich auch keiner vorstellen können, dass man auf dem Mond fliegen kann - und es geht doch!